(1998) "Unpopuläre Vorschläge zur Lehrerausbildung und zur
Verbesserung der Schule". Pädagogische Rundschau 52, 197-209.
1. Mehr Problemnähe: Reform der
Erziehungswissenschaften und Unterrichtshospitation für
Universitätslehrer
Die Schule von heute steckt in Schwierigkeiten. Ein Stichwort möge
genügen: sprunghaft ansteigende Jugendkriminalität, Jugendliche, die
den turbulenten Leerlauf ihres jungen Lebens mit Giften betäuben. Wir
haben alle davon gehört. Aber welche Universitätslehrer, die für das
Lehramt ausbilden, kennen solche Jugendliche aus eigener Anschauung und
haben sie unterrichtet? Hier haben wir ein Wirklichkeitsdefizit
aufzuarbeiten. Der erste Adressat in einem solchen Fall sind natürlich
die Disziplinen, die das erziehungswissenschaftliche Begleitstudium
betreuen. Die Ergebnisse aus unserem Projekt sind erschreckend. Die
Mehrheit der Lehramtsanwärter fällt ein vernichtendes Urteil:
"Bereitete das erziehungswissenschaftliche Begleitstudium Sie
gezielt auf Ihren Lehrberuf vor?"
(n=588 ReferendarInnen)
Eine gewisse Skepsis gegenüber Befragungen ist immer angebracht: Haben
es nicht Berufsanfänger generell schwer? Tendiert man nicht allgemein
dazu, Sündenböcke für Schwierigkeiten zu suchen? Machen sich
möglicherweise gerade diejenigen die Mühe, einen langen Fragebogen
auszufüllen, die hier die Chance sehen, ihren Frust loszuwerden? Würden
Lehrer mit einiger Berufserfahrung ihr Studium weniger kritisch
beurteilen?
Trotz solcher skeptischen Vorbehalte führt wohl kein Weg daran vorbei:
Wir müssen den am Begleitstudium beteiligten Wissenschaften die rote
Karte zeigen. Waren die Erziehungswissenschaften nicht als verbindende Klammer gedacht, die dem Studium der
Einzelfächer den Zusammenhalt geben sollte? Das Begleitstudium muß von
Grund auf erneuert werden.
Aber dürfen die andern den Pilatus spielen und ihre Hände in Unschuld
waschen? Vieles spricht ja dafür, daß z.B. Hochschulanglisten mit der
Lernunlust und dem Lernversagen im Englischunterricht nur am Rande zu
tun haben, da die Ursachen tiefer liegen und nicht Einzelfächer
betreffen. Als Hochschullehrer überhaupt - statt als Spezialisten eines
Faches - tragen wir jedoch alle eine besondere gesellschaftliche
Verantwortung. Außerdem macht unsere Befragung klipp und klar, daß auch
andere Disziplinen mehr für die Lehramtsstudenten tun müssen:
"Bereitete der literaturwissenschaftliche Teil Ihres Studiums Sie ausreichend
auf den Umgang mit literarischen Texten im Unterricht vor?"
(n=594 ReferendarInnen)
"Bereitete der linguistische Teil Ihres Studiums
Sie auf entsprechende Erfordernisse des Unterrichts vor?"
(n=332 ReferendarInnen)
Meine Folgerung: Alle Dozenten müssen eine eigene Anschauung vom
Berufsfeld des Lehrers und seiner Arbeit in der Schule von heute haben.
Die Hochschule als berufsausbildende Instanz darf sich dies nicht mehr
leisten: das Rechten, Richten und Urteilen auf Distanz, ohne den
shock of recognition, diesen Schock des persönlichen
In-Augenschein-Nehmens. Wenn die Hochschulen Wortführer bleiben wollen,
auch nur mitreden wollen über Studienpläne und Prüfungsordnungen,
brauchen sie mehr Nähe zu den Problemen. In der Forschung mögen wir
uns die Freiheit ausbedingen, ein Schrebergärtchen zu pflegen. Aber
auch dies muß in gesellschaftlicher Verantwortung geschehen. Was die
Freiheit der Lehre anbetrifft, so haben wir sie in der Vergangenheit
oft (bewußt?) falsch verstanden oder doch zu großzügig ausgelegt. Hier
brauchen wir einen breiten Zugang zur Wirklichkeit von Leben und Beruf
- so wie ihn sich Humboldt in kürzester Zeit erarbeitete: Ich hatte
einen allgemeinen Plan gemacht, schrieb er nach seinem Abschied aus
dem Amt im Jahre 1810 an seine Frau Caroline, der von der kleinsten
Schule an bis zur Universität alles umfaßte, und in dem alles
ineinandergriff, ich war in jedem der Teile desselben zu Hause, ich
nahm mich des kleinsten wie des größesten, ohne Vorliebe, mit gleicher
Tätigkeit an...
(1).
Wenn sich der Studienrat mit dem Lehrfach Englisch nicht in den
Literaten, Linguisten, Länderexperten, Erzieher, Aufsichtsbeamten usw.
zerstückeln kann, müssen auch seine auf ein Teilgebiet spezialisierten
Ausbilder stets die Ganzheit dieses Berufs im Blick haben.
Ich belasse es nicht bei einem bloßen Appell, sondern stelle einen
praktischen Vorschlag zur Diskussion: Jede Gewährung eines
Forschungsfreisemesters sei verbunden mit einer Hospitationswoche an
einer Schule bzw. an dem Betrieb, an der Behörde, an der Organisation,
für die wir unsere Studenten hauptsächlich ausbilden. Wenn sich
dabei Gelegenheiten ergeben, zu unterrichten, umso besser. Wir gehen in
die Schule, um sie und die dort Tätigen zu begreifen.
Das wäre piecemeal engineering im besten Popperschen Sinne.Vor
allem dürfen wir uns keinen Defätismus leisten, der auf unsere
Studenten abfärben könnte. Das wäre die pädagogische Todsünde.
Ich wiederhole meine Argumentationskette:
- Die Schule steckt in Schwierigkeiten.
- Wir haben eine Teilverantwortung für die Schule.
- Um zu begreifen, was geschieht und zu tun ist, müssen wir den Arbeitsplatz der Lehrer und die
Jugend von heute kennenlernen.
Übrigens: Werden nicht Mediziner in der Hauptsache von Klinikern
ausgebildet, die noch jeden Tag am Krankenbett stehen?
2. Mehr Problemnähe: Unterrichts- und
Hospitationswoche für Ministeriale und Schulaufsichtsbeamte
Am 2. Juni 1809, also während seiner Amtszeit, schreibt Humboldt aus
Königsberg an Caroline in Rom:
Was ich tue, gewinne ich lieb und erweckt mein Interesse,
und führt mich auch in mir weiter fort. Ich bringe jetzt manchmal ganze
Vormittage in bloßen Elementarschulen zu. Bisher taten das die Minister
nicht und blieben der Sache und die Sache ihnen fremd. Ich komme, ohne
daß man es weiß, die Lehrer bleiben in Furcht, wenn sie schlecht sind,
da ich, wie noch heute bei einem, der keinen Vers im Homer richtig
übersetzte, mit frage und korrigiere, und finden sich durch den Anteil
erfreut, wo sie gut sind. Dann ist's immer amüsanter, als Akten lesen.
(2)
Diese Briefstelle gibt mir Mut, eine Anregung aufgreifen, die eine
pädagogische Zeitschrift in den sechziger Jahren machte. Es wurde da
vorgeschlagen, alle Aufstiegsbeamten im Umkreis von Schulverwaltung und L
Lehrerausbildung sollten alle sieben Jahre auf ein halbes Jahr wieder
als gewöhnliche
Lehrer mit normaler Stundenzahl unterrichten:
Durch die selbstverständliche und nicht aus der Welt zu
schaffende Tatsache, daß man als junger Lehrer in der Praxis beginnt
und daß man erst später dazu kommt, umfassend über Praxis zu
reflektieren und Schule zu beaufsichtigen und zu verwalten, bekommen
die unterrichtliche Tätigkeit leicht das Odium des Niederen, die
Aufsicht und die Verwaltung den Glanz des Höheren. Unterricht und
Schulehalten sollten aber immer das Wichtigste und das
Ausschlaggebende sein... Der Mann an der pädagogischen Front, das
Kollegium einer Schule, sie alle gewinnen ein neues Verhältnis zur
Schulaufsicht, zur Lehrerbildung usw. dadurch, daß sie (a) für eine
geraume Zeit mit einem Vertreter der Aufstiegsbeamten Seite an Seite
arbeiten und daß sie (b) von ihm manche erhellende Einsicht über
Verwaltung usw. nebenbei aus nächster Nähe, "von Kollege zu Kollege"
erfahren.
(3)
Vielleicht hat auch dieser Vorschlag mehr Aussicht auf Erfolg, wenn man
das halbe Jahr auf eine Unterrichtswoche beschränkt.
Man wird sagen: Selbst zu einer Woche fehlt die Zeit. Die Antwort kann
nur lauten: Die hohen Beamten beschäftigen sich anscheinend mit den
falschen Dingen. Es dürfte auch jedem Kultusminister heute schwerfallen,
einen Vorgänger wie den preußischen Minister Wilhelm von Humboldt
einfach zu desavouieren. Ist nicht die Verbesserung der Schulen und
damit des Unterrichts ihre oberste Aufgabe?
Außerdem empfehle ich einen Stellenabbau in der Schulverwaltung
inklusive Schul- und Hochschulministerien zugunsten von Stellen für
Lehrer aller Schulstufen - das wirksamste Mittel gegen die Flut von
Erlassen und Verfügungen und die damit einhergehende Verrechtlichung,
die insgesamt die Arbeit vor Ort nur erschwert.
Übrigens: Wann wurde der letzte Fachvortrag eines Oberschulrats oder
Referatsleiters im Ministerium auf Fachkongressen - etwa der
Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung - gehalten?
3. Für eine Qualitätskontrolle und
vergleichbare Standards
Die Konservativen hatten sie eingeführt, Tony Blairs New Labour
Regierung führt sie fort, die Leistungsbewertung der Schulen und
Hochschulen. Einzelnen Schulen und Hochschulabteilungen droht das Aus.
In Deutschland machen sich politische Magazine wie Spiegel und
Focus mit den ihnen gemäßen Mitteln daran, eine Rangfolge der
Hochschulinstitute zu erstellen. Die Spitzenreiter genießen ihre
Position, die Schlußlichter haben nur Hohn für das Unternehmen übrig.
Weit davon entfernt, hier vorauseilenden Gehorsam zu üben, bin ich doch
der Auffassung, daß ein Leistungsvergleich von Schulen und Hochschulen
prinzipiell eine gute Idee ist und in Teilbereichen besonders sinnvoll
und ohne größeren Aufwand durchführbar ist. So könnten die Englisch-
und Französischkenntnisse von Hauptschulabsolventen, Abiturienten und
Studenten der Anglistik und Romanistik sehr wohl zentral überprüft und
benotet werden.
Die zu erbringenden Leistungen können durch geeichte, standardisierte
Sprachtests überprüft werden, etwa in Anlehnung an das britische
Cambridge Certificate oder den amerikanischen Test of English
as a foreign language (TOEFL) oder auch an die im
Bundeswettbewerb Fremdsprachen erprobten Formen. Damit wird für
diesen Bereich nicht nur die Vergleichbarkeit der Standards und Noten
an Schulen und Hochschulen garantiert; es wird auch offenkundig, was
die Institute hier leisten oder nicht leisten.
Dies heißt nun nicht, daß ein solcher Test schon alles sein muß, was
wir einem Abiturienten im Fach Englisch abverlangen. Aber doch das
Notwendigste. Jeder deutsche Wissenschaftler muß sich heute in klarem
und gutem Englisch artikulieren können, so wie es für seine
holländischen und skandinavischen Kollegen längst selbstverständlich
ist. Daher muß jeder Abiturient sein Studium mit soliden, wohlgeübten
und objektiv ürberprüfbaren Englischkenntnissen antreten. Englisch muß
von einer Fremdsprache zur Zweitsprache avancieren.
Ein positiver Nebeneffekt standardisierter Tests: Die Lehrer in Schule
und Hochschule werden bei den Abschlüssen teilweise davon entlastet,
den eigenen Schülern durch die Benotung Sozialchancen zuzuweisen. Sie
werden zwangsläufig zu Verbündeten der Schüler. Beiden Parteien ist
daran gelegen, daß die Hürden einer anonymen Zentralprüfung genommen
werden. Zudem sollte, wo es nur eben geht, vermieden werden, daß sich
Lehrer (und auch Schulen) durch die Zensuren, die sie erteilen,
indirekt auch selbst Erfolg oder Mißerfolg bescheinigen. Wer die
Qualitätskontrolle seines Unterrichts selbst durchführt, kann durch
großzügige Notengebung kaschieren, daß er weit unter Niveau
unterrichtet und sich außerdem lästigen Einspruch vom Hals schaffen.
In der gymnasialen Oberstufe werden Schüler dann solche Lehrer bzw.
Kurse wählen, die sie auf die Sprachprüfungen am besten vorbereiten,
und das heißt in der Regel, bei denen sie am meisten lernen. Ein guter
Lehrer bekommt ein wenig die Aura eines Erfolgstrainers oder auch des
Stardirigenten, der seinem Orchester große Aufführungen und
Plattenhonorare verschafft. Für die besseren wird es viel leichter,
menschlicher Begleiter von Kindern und Jugendlichen sowie Freund und
Förderer aller Schüler zu sein. Auch für den Durchschnittslehrer
wäre dies ein Anreiz, sich mehr anzustrengen, da die Anstrengung für
alle sichtbar wird.
Daß es selbst in diesem überschaubaren, gut meßbaren Bereich sehr
unterschiedliche Standards gibt, hat eine britische Studie zutage
gefördert, in der die Sprachkenntnisse von 3000 Studierenden moderner
Fremdsprachen anhand eines modernen Sprachtests ("C-Test") überprüft
wurden. Es ist nicht ohne weiteres einzusehen, daß deutsche Hochschulen
hier eine rühmliche Ausnahme bilden:
There are considerable discrepancies between the average
proficiency of students at the same notional level of study but in
different institutions... Finding such enormous inter-institutional
discrepancies, I was prompted to call for the linguistic outcomes of
university language courses to be defined and quantified, both in terms
of course objectives made available to students, and of certificates
detailing proficiency levels achieved. My suggestion that the existing
tradition of degree classification was inadequate has since been echoed
in an authoritative report on Britain's universities.
(4)
Eine weitverbreitete Ignoranz unter Hochschullehrern bezüglich der
Praxis und Theorie des Testens, die aus der eben genannten Studie
ebenfalls hervorgeht, ist wohl schuld daran, daß wir uns an den
Hochschulen immer noch mit der Übersetzungsklausur zufriedengeben.
4. Ausbilder der zweiten Phasen müssen
erneut studieren
Die Lehrerausbildung ist nicht allein Sache der Hochschulen. An das
Studium schließt sich als zweite Ausbildungsphase das Referendariat an. Auch hier liegt einiges im Argen.
"Würden Sie das Referendariat als Phase der gelungenen 'Professionalisierung'
bezeichnen?"
(n=473 Lehrkräfte moderner Fremdsprachen)
Mein Verbesserungsvorschlag: Wer als Fachleiter Referendare ausbildet,
sollte ein Ergänzungsstudium absolviert haben.
(5)
So könnte der stärkere Praxisbezug der Hochschullehrer mit vertieften
theoretischen Kenntnissen bei den aus der Praxis hervorgegangenen
Fachleitern verbunden werden. Bisher sind Fachleiter bei der
Vorbereitung auf ihre Aufgabe ganz auf sich allein gestellt. Dabei
kennen sie - abgesehen von der eigenen Referendariatszeit - in der
Regel nur den eigenen Unterricht, nicht einmal den der Fachkollegen an
der eigenen Schule. Später sehen sie nur den Unterricht der Adepten,
die sie selbst in die Praxis einführen. Es darf aber nicht sein,
daß Fachleiter nur das selbst erprobte methodische Repertoire
weitergeben. Fakt ist, daß wissenschaftliche Studien übereinstimmend
die methodische Monostruktur des alltäglichen Unterrichts beklagen.
(6)
Dieser Befund wird auch in den studentischen Berichten über ihre
Schulzeit gespiegelt:
My teacher was absolutely incapable of speaking French as
well as of teaching it. The French lessons were unbearable and boring,
and instead of improving my French in the 'Leistungskurs', I forgot a
lot of it during those three years. (Judith H.)
A few months later at school I gave up learning English. Up to that
time all of my English teachers had been boring people. Somehow it was
not possible for them to fill the lessons with enthusiasm. (Kerstin B.)
My second teacher was a complete catastrophe. He never prepared his
lessons and so it is easy to imagine how his lessons were either boring
or else ended in chaos. Nobody said a word in his lessons and as a
revenge his class tests were very difficult. (Karin K.)
I cannot even remember one single encouraging event or occasion in the
English lessons of the 'Mittelstufe'. The only thing I remember is the
fact that they were extremely boring. (Anthony W.)
In einer Befragung von Mittelstufenschülern an hessischen Gesamtschulen
und Gymnasien waren folgende Schüleräußerungen typisch: Es wird stur
nach dem Buch gearbeitet und Der Unterricht ist langweilig, immer
wieder dasselbe: Stück wird durchgenommen, abschreiben, Vokabeln
abfragen usw.
(7)
Das hier vorgeschlagene Aufbaustudium ist allerdings nicht zum
Nulltarif zu haben. Es kostet Geld, weil tüchtige Lehrer für ein halbes
Jahr mindestens teilweise vom Unterricht befreit werden müssen. So
werden manche Kultusminister zögern. Aber auch Humboldt zögerte, bevor
er das Amt als geheimer Staatsrat und Direktor der Sektion des Kultus
und öffentlichen Unterrichts in Preußen annahm. Was läßt sich jetzt im
Preußischen tun, wo man so wenig Mittel hat? schrieb er an Caroline am
16. November 1808.
(8)
Die politische und wirtschaftliche Situation war damals wahrhaft
bescheiden. Nach den Niederlagen gegen Napoleon hatte Preußen
Gebietsverluste hinnehmen müssen und hatte nur noch Vasallenstatus; der
Hof war von Berlin nach Königsberg verlegt worden. Aber Humboldt trat
das Amt schließlich an und leitete in kürzester Zeit Reformen ein, die
bis heute nachwirken.
Im übrigen kann es auch der Hochschule nur guttun, sähe man sich dort
einmal gestandenen Praktikern gegenüber, die Themen und Thesen
unnachsichtig auf ihren praktischen Nutzen abklopfen würden.
5. Schlechte Lehrer aus dem Schuldienst entfernen!
In allen Berufssparten gibt es schwarze Schafe. Besonders verheerende
Auswirkungen hat dies bei Ärzten und Lehrern. Bei Ärzten liegt dies auf
der Hand. Auch hier ist es schwer, das naheliegende zu tun, nämlich die
unfähigen Ärzte aus dem Dienst zu entlassen. "Die Arbeitsplatzgarantie
des öffentlichen Dienstrechts, so war es in der ZEIT vom 18.7.97 zu
lesen, "führt dazu, daß die motivierten und fähigen Mitarbeiter in den
Krankenhäusern eine Menge von Fußlahmen mitschleppen, sagt der
Unternehmensberater. Das zeige sich am hohen Krankenstand - und
manchmal gar in medizinischer Inkompetenz der praktisch unkündbaren
Ärzte."
"Erinnern Sie sich an einen guten Englischlehrer?"
(n=1783 BerufsschülerInnen)
"Erinnern Sie sich an einen schlechten Englischlehrer?
(n=1794 BerufsschülerInnen)
Während die von uns befragten Berufsschüler hauptsächlich von Real- und
Hauptschulen kommen, beziehen sich die Studenten ganz überwiegend auf
das Gymnasium. Die Antworten stimmen überein. Ein Unterschied zwischen
den Schulformen ist nicht zu erkennen. Dabei haben wir diesmal in der
Frage deutlich gemacht, daß es wirklich nur um ausnehmend gute wie um
auffallend schlechte Lehrer geht.
"Would you say that you had at least one very good modern language teacher from whom you learned a
great deal and whose lessons you enjoyed?"
(n=1723 Students of English and technical courses of studies)
"Did you, on the other hand, have a poor modern language teacher, who discouraged and demotivated you,
e.g. a teacher who maybe even undid the good work of others?"
(n=1703 Students of English and technical courses of studies)
Karl Popper hat einen Vorschlag gemacht, wie man die Schule verbessern
könnte: Sie muß die unglücklichen Lehrer loswerden: Indem ich damals
über meine eigenen Erfahrungen als junger Lehrer an schlechten Schulen
nachgedacht habe, bin ich draufgekommen, daß es das Wichtigste ist,
schlechten Lehrern in der Schule die Möglichkeit zu schaffen, die
Schule zu verlassen. So haben inzwischen auch die Briten Maßnahmen
ergriffen, um die Entlassung unfähiger Lehrer zu beschleunigen.
Sir Karl erläutert: Solange viele Lehrer verbitterte Lehrer sind,
verbittern sie die Kinder und machen die Kinder unglücklich.
(9)
Als ehemalige Schüler und Eltern von Schülern haben wir wohl alle
einschlägige Erfahrungen. Eine mit persönlich bekannnte junge Lehrerin
wechselte nach einem Jahr die Schule und nahm dabei einen viel
längeren Schulweg in Kauf. Sie erklärte: Ich konnte es da nicht mehr
aushalten. Es herrschte eine völlig negative Atmosphäre im Lehrerzimmer.
Ich konnte mir nicht mehr mit anhören, wie die Schüler nur noch
heruntergemacht wurden.
Im Gespräch mit Referendaren traf ich öfter auf solche, die sich über
einzelne Lehrer mit einer völlig negativen Grundeinstellung zu ihrem
Beruf empörten. Die Berufsanwärter - die drohende Arbeitslosigkeit vor
Augen - waren entsetzt über das ewiges Geschimpfe über Schüler und
Schule. Dankbarkeit dafür, daß sie eine krisensichere, ja unkündbare
Stellung mit einem guten Gehalt haben, sei bei diesen Lehrern nicht zu
finden.
Zur Ergänzung einige typische Zitate aus Aufsätzen, in denen Anglistikstudenten über ihre
Schulzeit berichten:
"She simply took the fun out of learning." (Stephan P.)
"He didnt try to conceal that he hated his job and the school.
Sometimes he warned us against becoming a teacher. He tried to play up
to us by talking about other teachers behind their backs. But that
didnt work because among those teachers there were some whom we liked,
and as a result it was our English teacher who we hated most." (Gabriele S.)
"I recall four different English teachers of whom the first one never
spoke English in the classroom except when it was required in the
textbook, the second one could not cope with teaching. She left the
school three months after she had taken over my class, the third one
had a nervous breakdown and the fourth one, who taught French as well,
spoke a mixture of English and French respectively, beginning a
sentence in English and finishing it 'en français'." (Melanie J.)
"I will always remember our last lesson after the Abitur exams. After
the bell had rung I just thought Thank God, I will never have anything
to do with English again. (Bettina S.).
Wie Bettina dann doch zum Englischstudium gekommen ist, das ist eine
andere Geschichte.
Der Politik ist das Problem träger und unfähiger Lehrer nicht unbekannt,
und sie versucht es mit untauglichen Mitteln zu lösen. Das Schlimmste,
was heutzutage völlig unfähigen Pädagogen passieren kann, ist: Sie
werden versetzt. Als "Wanderpokale" belästigen und belasten sie neue
Schüler und neue Kollegen - vierzig Dienstjahre lang. Wir dürfen dies
nicht länger hinnehmen.
6. Gute Lehrer stützen!
Gewiß ist dies eine Negativauslese. Wie schon aus der Befragung
hervorgeht, müßte es ebenso viele positive Äußerungen über tolle Lehrer
geben. Und die finden sich auch in den Aufsätzen der Studenten:
Today I want to become a teacher, too, and I often think
of what I learned from this woman: that the most noble and prominent
duty of the teacher is to encourage the pupils to be who they are. (Robert P.)
He was a very lively, gifted teacher who was really interested in what
he did. He was able to make us share his enthusiasm and by doing that
he created good conditions for a positive working atmosphere. He
endeavoured to keep fun and seriousness in balance to make learning
pleasant. (Regina T.)
Our teacher at this period also taught history and seemed to be
absolutely dedicated to this subject. He connected English classes with
historical items whenever possible. For the first time, I had the
impression that someone was giving English lessons not for their own
sake, but to convey something going far beyond the normal foreign
language instruction. It was absolutely fascinating and I can honestly
say that there were classes in which we forgot that they were not held
in our native language. We did not use a coursebook anymore but all
subscribed to TIME Magazine. We prepared really interesting articles
dealing with politics, music, cinema, art or other topics, at home and
talked about them in the next lesson. We were all impressed by what our
teacher knew about the background of the stories. We gained so much
general education that I felt treated like an adult in school, and this
feeling made applying the second language so much more natural and easy.
The atmosphere was so relaxed that lessons became like discussions with
friends, which I had definitely never thought possible. (Holger Z .)
Vergessen wir also nicht, welch großartige Leistungen viele Lehrer
täglich erbringen - und das, obwohl die Arbeit immer schwerer wird:
"Wer Tag für Tag Stunden vor einer lärmenden Truppe von bis zu 33
Halbwüchsigen steht, muß jeden Augenblick voll da sein. Dauernd muß
man den eigenen Führungsanspruch deutlich machen, sagt der Nürnberger
Hauptschullehrer Reiner Mehler, 38, wer das nicht schafft, wird bald
von seiner Klasse mit dem Zettel in der Hand zum Einkaufen geschickt."
- Lehrersein ist ein Beruf, der - heute weniger denn je - keine
Halbheiten verträgt.
Statt aber Lehrer zu stützen, gefällt sich die Schulverwaltung darin,
ihre Arbeit und Arbeitszeit immer stärker zu reglementieren und mit
ihrer Regelungswut auch die vielen guten und gewissenhaften Pädagogen
zu drangsalieren, die die formalen Vorschriften nicht brauchen und von
ihnen nur eingeengt werden. Vielleicht bekommt auch kein Berufsstand
wie die Lehrer so sehr die Schieflage einer Gesellschaft zu spüren, in
der die Ansprüche des Einzelnen mehr gelten als Pflichten, in der
Frechheit siegt, Schamlosigkeit in den Medien gefeiert und Erziehung im
Prinzip als Anmaßung empfunden wird. Wenn ein Autofahrer dem andern den
Vogel zeigt, hat er mit einer saftigen Geldstrafe zu rechnen. Lehrer
aber müssen sich heute dies und viel mehr noch von Kindern und
Jugendlichen gefallen lassen, ohne dagegen wirkungsvoll einschreiten zu
können. Hat man auch einmal daran gedacht, welchen Effekt es auf die
vielen anderen hat, die miterleben, wie sich Agressionen auszahlen? Wie
hat es dazu kommen können? Ich werde den Verdacht nicht los: Die
Politiker, die wohl wissen, wie sehr sie die nachfolgenden Generationen
zugunsten der eigenen belasten (z.B.: Wann werden ebenso viele Arbeitende
ebenso viele Rentner mitzuverorgen haben!?), wollen sich freikaufen,
indem sie den Jüngeren alles gestatten.
Sie werden ihre Kinder nur noch schneller in den Ruin treiben.
Schluß
Man kann da machen, was man will: Wenn heute mehr Lehrer ausgebildet
als eingestellt werden, ist damit die Lehrerausbildung ein Stück
entwertet. Dies entbindet nun aber ganz und gar nicht von der Pflicht,
Lehrer optimal auszubilden, oder auch nur das Thema niedrig zu hängen.
Wir brauchen gebildete und gut ausgebildete Lehrer, und werden sie
immer brauchen.
Meine Vorschläge sind (hoch)schulpolitischer Natur. Sie sollen
inhaltlichen und hochschuldidaktischen Reformen den Weg ebnen. Es fehlt
heute nicht am Konsens derer, die sich ernsthaft mit der
Lehrerausbildung befaßt haben. Die Diskussion ist nie abgerissen. Der
Weg, der zu gehen wäre, ist abgesteckt. Wie wenig weicht mein
Problemabriß etwa von der Analyse Helmut Sauers aus dem Jahre 1968 ab!
(10)
Wir müssen endlich mehr Energie und Beharrlichkeit, auch mehr Phantasie
und List in die Öffentlichkeitsarbeit und politische Durchsetzung
stecken. Die verantwortlichen Minister erinnern wir noch einmal an
Humboldt, der bei seinem Amtsantritt wohl wußte :Gelehrte zu
dirigieren, ist nicht viel besser, als eine Komödiantentruppe unter
sich zu haben, und doch in sechzehn Monaten Amtszeit so viel erreichte.
(11)
Tun Sie bitte mehr, als die Mängel zu verwalten und zu kaschieren! Man
kann nicht etwas für richtig halten und dann nicht tun wollen. Wir
unterstellen niemand böse Absichten; zu bekämpfen aber ist der Teufel
der Schlamperei, der Gedankenlosigkeit, der Herzensträgheit, der
Konvention und Routine.
Anmerkungen
* Ich danke außerdem meinen Projektmitarbeiterinnen Maria G. Schönwald und Dr. Ulrike Simon.
1. Anna von Sydow (Hg.): Wilhelm & Caroline von Humboldt in ihren Briefen. Band 3, Briefe aus
Rom und Berlin-Königsberg 1808 - 1810. Berlin 1909, S. 444
2. Ebd. S. 172
3. H. Chiout: Eine (vielleicht) unpopuläre Empfehlung (S. 375-377). In: H. Becker, et al (Hg.):
Neue Sammlung - Göttinger Blätter für Kultur und Erziehung, 7. Jahrgang, Göttingen 1967, S.377.
4.James A. Coleman: Progress, proficiency and motivation among British university language
learners, CLCS Occasional Paper No. 40, Trinity College Dublin: Spring 1995, S. 10
5. Vgl. Wolfgang Butzkamm: Wie bekommen wir bessere Lehrer? Ergänzungsstudien für
Fachleiter und Ausbildungslehrer. In: Neusprachliche Mitteilungen 1 (1987), S. 6-9.
6. Hage, K., u.a.: Das Methodenrepertoire von Lehrern. Eine Untersuchung zum
Schulalltag der Sekundarstufe 1. Opladen: Lesk und Budrich 1985;
J.I. Goodlad: A Place Called School. Prospects for the Future. New
York 1984, S. 298
7. Henning Düwell: Fremdsprachenunterricht im Schülerurteil. Tübingen 1979, S. 210
8. Anna von Sydow 1909, S.19
9. Karl R. Popper und Konrad Lorenz: Die Zukunft ist offen. Das Altenberger Gespräch. München
1985, S. 117
10. Helmut Sauer: Das Studium des Faches Englisch an Pädagogischen Hochschulen. In: Die
Deutsche Schule, 4 (1968), S. 231-243.
11. Anna von Sydow 1909, S.19
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